Retina-Display des iPad 3: Der Untergang des Abendlandes?

Das iPad 3 neue iPad ist da und beglückt uns mit seinem Retina-Display, also vier Bildpunkten, wo vorher ein Pixel war. Das Gegenteil von „gut“ ist bekanntlich „gut gemeint“, und so proklamieren die Webdesigner und Typografen nun bereits den Untergang des Abendlandes. Ist dem wirklich so, oder sollten wir lieber mal die Kirche im Dorf lassen?

Der hoch geschätzte und jederzeit gern gelesene Kollege Gerrit van Aaken proklamiert in seinem jüngsten Blogbeitrag auf praegnanz.de, wie schlecht es ab sofort um Webdesign bzw. um bestehende Webseiten bestellt ist. In kurz:

  • Eingebettete Fotos – so lala, die könnten natürlich schöner aussehen. Am besten zwei Varianten für Low- bzw. Standard-PPI sowie High-PPI vorhalten und je nach Bedarf via CSS Media Queries zur Schau stellen.
  • Grafische oder typografische Bitmap-Inhalte, z.B. Diagramme oder als Grafik hinterlegter Text (etwa Überschriften) – sehen zum Rauslaufen gruselig aus, also unbedingt Webfonts nehmen, alternativ alles unbedingt noch mal in High-PPI generieren und bei Bedarf präsentieren.
  • Browsergerenderter Text – naja, OK, schon irgendwie hoch aufgelöst, aber typografisch gesehen suboptimal, weil Arial nun mal für Low-PPI optimiert ist, in High-PPI scheiße aussieht – und überhaupt, jetzt könnten wir doch eigentlich endlich mal was mit Serifen nehmen …

Ehrlich – ich kann das alles echt sehr gut nachvollziehen, und ich habe mit exakt diesen Argumenten auch gestern der wehrlosen Ehefrau das ansonsten friedliche Abendessen verquasselt. Aber nachdem ich nun eine Nacht (schlecht) darüber geschlafen habe, geht es mir schon viel besser. Ich sage: Bitte das Jammern einstellen und erst mal den Ball flach halten.

Es gibt meines Wissens derzeit genau vier Geräte, die ein Retina-Display mit doppelt hoher PPI-Dichte an den Massenmarkt tragen: Das iPhone 4, der iPod touch (4. Generation), das iPhone 4S und nun das iPad 3 – allesamt von Apple. Wie Gerrit korrekt bemerkt: Beim iPhone / iPod touch ist o.a. Problematik weniger relevant, weil man eh permanent scrollt. Das Retina-Display dient dabei eher dazu, schon in der stark verkleinerten Ansicht einen besseren Überblick zu bekommen, wohin sich das Zoomen lohnt.

In der Folge des iPhone 4  hat meines Wissens noch kein anderer Mobiltelefonhersteller ein Retina-Display verbaut. Und auch im Vorfeld des iPad-Relaunchs wurde lange Zeit gemutmaßt, dass ein Retina-Display mit 10 Zoll Bildschirmdiagonale viel zu teuer sei, um es zu einem tolerablen Preis zu verbauen. Machen wir uns nichts vor: Apple kann hier seine Markt-Vorherrschaft ausspielen, um den Herstellern andere Konditionen abzuverlangen. Aber: Ich sehe diesseits des Horizonts noch keinen anderen Hersteller, der ein 10″-Tablet mit High-PPI zu einem bezahlbaren Preis produzieren könnte.

Wie sieht es aber im Notebook- oder gar Desktop-Markt aus? Sicher ähnlich. Wenn es jemand schafft, dann sicher wiederum Apple mit seinen 11 Zoll „kleinen“ MacBook Airs – basierend auf der Theorie, dass Mac OS X 10.7 oder 10.8 High-PPI fähig ist (man sah schon derartige Screenshots) – Tim Cook sprach ja auch davon, dass wir für 2012 noch einiges zu erwarten haben. Aber wäre ein Retina-Display für größere Macs mit 13, 15, 17, 21 oder gar 27 Zoll Bildschirmdiagonale bezahlbar? Man darf das vorerst bezweifeln. Und: Ich kann mir erst recht im Windows-Lager momentan kein Feld-Wald-Wiesen-TFT mit 24 oder 27 Zoll mit High-PPI ie. „QuadHD“-Auflösung vorstellen. Zur Erinnerung: Wenn anschließend nicht mehr 1920×1080, sondern 3840×2160 Pixel gefüllt werden wollen, schreit dies nach enorm dicken Grafikkarten und Monitorkabeln.

Man verzeihe mir: Ich sehe High-PPI mittelfristig höchstens im „kleinformatigen“, aber immer noch hochpreisigen Profisegment, während der Massenmarkt noch meilenweit davon entfernt ist.

Auch wenn Tablets tendenziell zunehmen, und wenn in vielen Bereichen „Tablet“ mit „iPad“ gleichgesetzt wird, so steht auf den Schreibtischen in den Büros und auch in den Wohnhäusern tendenziell eher ein Desktop- oder eventuell Laptop-Computer. Was ich damit sagen will: Das Gros der Endanwender dürfte auf absehbare Zeit noch ohne High-PPI auskommen müssen.

Ergo: Die Schwächen von Standard-PPI-Webseiten auf High-PPI-Displays sind durchaus real, aber bezogen auf den Massenmarkt momentan noch vernachlässigbar. Es mag für Webseiten mit hohem bzw. hochqualitativem Bildgehalt sinnvoll sein, auf High-PPI einzugehen und entsprechenden Aufwand zu betreiben – ob man hier allerdings schon von bildschirmoptimierten auf offsetoptimierte Schriften wechseln sollte, wage ich vorerst stark zu bezweifeln.

Bestehende Webseiten abzustrafen, weil sie auf iPhone 4(S) und iPad 3 suboptimal aussehen, halte ich für deutlich übertrieben. Natürlich ist die Darstellung nicht bestmöglich, aber sicher nicht dermaßen scharöcklich, dass man sich angewidert abwenden möchte.

Denn: Unzweifelhaft sind die 1024×768 des iPad 1 und 2 für ein 10 Zoll-Display heutzutage eher gering. Aber: Sich auf dem 10 Zoll-Display des iPad 3 mit deutlich höherer Auflösung als Full-HD (mit dem man bekanntlich anderenorts Großbildschirme mit 50 Zoll und mehr beschickt) über nicht ganz optimales Grafikrendering zu beschweren, ist in meinen Augen nun wirklich Jammern auf hohem Niveau.

2 Kommentare.

  1. Markus Holtmanns

    Der Tatsache dass im Desktop bereich „High-PPI“ Displays noch auf sich warten lassen stimme ich zu. Eins der Probleme ist sicherlich, dass bisher fuer 2560×1600 (oder x1440) immer noch Dual-Link DVI nötig war, genau wie eine ziemlich leistungsfähige Grafikkarte. Letzteres eigentlich nur fuer Spiele, aber egal. UND es war billiger und profitabler solche Displays in 27″ oder grösser herzustellen. Selbst mit Thunderbolt und Displayport wird sich das nicht so bald ändern, Displayherstellung in diesen Grössen wird sicher nicht plötzlich radikal billiger werden (wuerden die Hersteller auch nicht wollen…).

    Aber dass das iPhone4S und das neue iPAD nun ganz plötzlich die einzigen sind, die „High-PPI“ benutzen, ist eher inkorrekt. Schau mal unter . Höhere PPI
    Geräte werden dieses Jahr der Mainstream in Smartphones.
    Und Tablets (nicht iPad) kommen direkt hinterher.

    Von daher bin ich zwar einer Meinung mit Dir, dass das alles Jammern auf hohem Niveau ist. Aber trotzdem sollten sich sowohl Inhalteanbieter als auch Browserhersteller schnell Gedanken machen, wie man mit höheren Pixeldichten sinnvoll umgeht.

    Vielleicht sind 30 Jahre ja dann doch genug fuer Arial… 😀

    • Ok, ok, da habe ich etwas schlecht recherchiert. Die Frage ist aber: Welche von den Gerätschaften vollzieht den Schritt ebenso wie Apple vollständig – d.h. deklariert für jedes „logische Pixel“ nun vier „physikalische“ Pixel?

      … Wobei: Im Grunde genommen ist das aber auch schon eine akademische Diskussion, denn wenn ich auf iPhone, iPad, Huawei, HTC, Sony, Samsung, Nokia, hasse-nicht-gesehen oder auch schon im Desktopbrowser (etwa Safari unter OSX 10.7 per Doppelklick) die Zoomstufe auf mehr als 100% erhöhe, müssen bei grafischen, fotografischen und typografischen Bitmaps Pixel hochskaliert ie. „hinzuerfunden“ werden, und gerenderter Text erscheint in unästhetischen Schriftgrößen. Sieht auch scheiße aus, hat aber bislang noch kaum jemand kommentiert.

      Anders gesagt: Wenn die Pixeldichte steigt, ist es egal, ob der Hersteller das dann „Retina-Display“ nennt und DPI vs. PPI jongliert: Sobald der Browser Bitmaps und gerenderten Text hochskaliert, d.h. einerseits Pixel hinzuerfinden und andererseits Texte schriftart-untypisch hochrendern muss, liegt das Kind bereits im Brunnen.

      Die Browserhersteller sind mit Media Queries bereits so weit, aber eben nur für CSS-kontrollierte Bilder, nicht für img-Tags. Vielleicht sollte man hier zu diesem Zweck mal die mal Algorithmen lizensieren, mit denen heutige HD-Fernseher SD-Material auf Full-HD hochskalieren.