Manche sagen mir nach, ich litte unter einem auf Apple bezogenen Stockholm-Syndrom. Wissenschaftlich: Festgehaltene Geiseln empfinden nach langer Zeit der Drangsalierung letztendlich sogar Sympathie für dem Geiselnehmer und verteidigen diesen häufig sogar. Umgangssprachlich: Apple-Fanboy.
Die neuste Ausprägung dieses Vorwurfs resultiert daraus, dass ich alleine das Konzept des heute nun endlich der Öffentlichkeit präsentierten iPads schon cool fand, bevor es vorgestellt war – und jetzt auch immer noch cool finde.
Das vielzitierte Apple-Stockholm-Syndrom beruht darauf, dass man die Limitierungen und Schwächen der eingesetzten Produkte nicht wahrnimmt oder wegzudiskutieren versucht, und dabei vergisst, dass Konkurrenzprodukte einiges genauso gut oder viel besser können.
Ich will die bekannten Schwächen von iPhone und iPod touch nicht wegdiskutieren. Was ich sagen will: Wenn ich etwas mag, dann muss mich etwas anderes, mir bislang noch nicht Bekanntes, schon allein aus Produktpräsentationen außerordentlich gut gefallen, damit ich einen Wechsel in Erwägung ziehe. Das nenne ich nicht Stockholm-Syndrom, sondern
„Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht.“
oder um noch einen Groschen ins Phrasenschwein zu schmeißen:
If it ain’t really broke, don’t fix it. If it still does what it is supposed to do, don’t replace it.
Wenn also die bekannten Schwächen und Begrenzungen zu sehr zu stören beginnen, dann muss man über ein anderes Produkt nachdenken. Aber solange das Produkt haargenau das kann, was es soll, muss man nicht auf Teufel komm raus nach Alternativen suchen.
Eins ist dabei wichtig zu wissen: Von kleinen Schönheitsfehlern wie fehlendem Flash und einem fehlenden Passwortmanager liebe ich meinen iPod touch von ganzem Herzen. Im Rahmen meines Nutzungsprofils benötige ich in den seltensten Fällen ein mobiles Outdoor-Internet-Gerät. Wohingegen: Ein hotspot-gebundenes „Nicht-Wintel-Laptop“-Internet-Zugangsgerät mit einem tollen Display und einem todschicken, funktionellen Look & Feel is exakt das, was der iPod touch in meinem alltäglichen Leben geworden ist, seit … ja, seit ich ihn habe. Er ist absolut nicht mehr wegzudenken, und ich weiß schlicht und ergreifend nicht, wie es jemals vorher ohne gegangen ist.
Und es ist mir eine große Freude, hier und jetzt an dieser Stelle bekannt zu geben, was mich an meinem iPod touch am meisten nervt: Seine Größe. Das Ding ist schlicht und ergreifend zu klein und zu fummelig. Ich schätze, wenn der iPod touch ein etwa 10″ großes Display hätte, dabei aber haargenau dieselbe Funktionalität wie jetzt, mit dem gleichen Benutzerinterface, würde ich ihn genauso lieben wie vorher – nur noch viel mehr.
Um also die Frage zu beantworten, die mir heuer von den Stockholm-Syndrom-Verschwörungstheoretikern mit besorgter Miene zugeraunt wird, ob ich also wirklich das Standard-iPad-Modell ohne 3G kaufen will, obwohl das doch wirklich nur ein „aufgeblasener iPod touch“ ist: Ja, verflixt nochmal, exakt das will ich, weil es haargenau das ist, was ich mir als einzigen Ersatz für meinen nicht mehr wegzudenkenden iPod touch vorstellen kann – nämlich ein deutlich größerer iPod touch. Punkt. Danke, Apple, dass Ihr jetzt genau das herstellt.
… Wobei ich mir umgekehrt nicht vorstellen kann, dass die Leute das iPad/3G als „aufgeblasenes iPhone“ akzeptieren werden. Ein iPad ist nicht zu Telefonieren gedacht, und denkbar wäre das auch allerhöchstens aus der Tiefe des Rucksacks heraus, über ein per Bluetooth gekoppeltes Headset. Das iPad/3G ist zum mobilen eBook- … sorry … iBook-Shopping gedacht. Es ist Apple zuzutrauen, dass sie das Produkt haargenau dort am Markt platzieren und auch diesen Markt umkrempeln – meinetwegen, es entspricht nur nicht meinem (derzeitigen) Nutzerverhalten.
Freunde – hört bitte auf, mich des Stockholm-Syndroms zu bezichtigen, das ich nicht habe. Alles, was ich will, ist ein größeres Exemplar von dem, was ich bereits habe. … Nein, nicht das, was Ihr jetzt denkt. Kein Grund zur Klage südlich des Äquators. 😉