Kindle Fire und alternative Firmware

Auf was man sich einlässt, wenn man seinem alten Kindle Fire eine hochmoderne alternative CyanogenMod-Firmware spendieren möchte. In kurz: Hinsichtlich der Bedienbarkeit ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht, aber dafür gibt es Akkuprobleme.


Mein Kindle Fire ist einer der ersten, die Amazon.com USA damals Mitte November 2011 ausgeliefert hat. Er tat und tut bei mir klaglos seinen Dienst, allen Unwägbarkeitens eine US-Geräts auf europäischem Boden zum Trotz.

Allerdings: Nach etwa einem halben Jahr wurde mir das Sideloading der Apps dann doch zu blöd – schließlich kam ich mit meinem Fire weder in den US-Amazon-App-Market, noch ins Google Play. Beherzt wurde das Ding also gerootet – und kurz darauf lief nicht nur das wundervolle TWRP 2 Recovery, sondern auch die reguläre Google Play App, zusammen mit dem Rest der Google Apps, kurz „Gapps“.

Trotzdem: Das System war und blieb, trotz Google Play und GoLauncher EX, ein total vergurktes Android 2.3.x „Gingerbread“, bei dem Amazon alles nur Erdenkliche unternommen hat, um das „normale“ Android-Look & Feel zu kastrieren. Das größte Manko ist hierbei für mich das fehlende deutschsprachige Locale – nicht, weil ich nicht der englischen Sprache mächtig wäre, sondern weil man z.B. bei Google grundsätzlich zuerst die englischsprachigen Fundstellen sieht, statt der in Deutschland üblichen deutschen. Plus das unsäglich träge Handling des Geräts.

Also entstand Anfang des Monats der Wunsch, einmal einer alternativen Firmware eine Chance zu geben. Erster Anlaufpunkt ist dabei xdadevelopers und der dortige Kindle Fire-Bereich. Hier findet sich alles, was das Herz begehrt – einschließlich CM9 = Android 4.0 Ice Cream Sandwich und CM10 = Android 4.1-Jelly Bean.

Die meisten dieser ROMs sind auf TWRP ausgelegt. In kurz:

  • Vom TWRP Recovery aus lässt sich das komplette installierte System einschließlich Apps und Einstellungen sichern und bei Bedarf später wiederherstellen.
  • Anschließend lässt sich das bestehende System entweder auf Werkseinstellungen zurücksetzen oder bei Bedarf auch komplett löschen. Dabei wird der Inhalt der „SD-Karte“ (sprich: des Massenspeichers) bis auf weiteres nicht gelöscht.
  • Die meisten von xdadevelopers herunterladbaren ROMs liegen in einem Format vor, das sich direkt mit TWRP flashen lässt.
  • Anschließend bootet man neu – und im Idealfall sieht man ein völlig anderes System als vorher. Wenn einem dies nicht zusagt, spielt man das zuvor angelegte Backup zurück, und man ist genau da, wo man vorher war, als wäre nichts gewesen.

Sprich: Wer bereits über ein gerootetes Kindle Fire mitsamt TWRP verfügt, für den ist die xdadeveloper-Liste der verfügbaren Kindle Fire ROMs ein schierer Abenteuerspielplatz.


Bevor ich lange herum lamentiere: Ich habe so ziemlich jedes ROM ausprobiert, das ich finden konnte – von „stockish“ (d.h. ein nahezu unverändertes System, wie Google es vorgesehen hat) bis hin zu stark modifizierten ROMs mit deutlich varrienden Looks & Feels – über Geschmack lässt sich streiten. Wer Erbsen zählen will, findet an jedem ROM etwas, das nicht 100%-ig ist, aber da die meisten der neueren ROMs noch in Entwicklung sind, dürfte sich die eine oder andere Ungereimtheit beizeiten erledigen: Viele ROM-Bastler bieten Updates an, so dass man bei einer Aktualisierung ohne nochmalige vollständige Neueinrichtung hinkommt.

Darüber hinaus bekommt man, im Falle des Jelly Bean-Stock-Launchers, ein Tablet, das sich vom Handling her kaum vom Google Nexus 7 unterscheidet – einschließlich deutschsprachiger Lokalisierung (von einigen Modifikationen einmal abgesehen). Auch die gefühlte Performance ist, dank der Jelly Bean-UI-Optimierungen sowie der problemlos möglichen dynamischen Übertaktung auf 1.2 GHz, absolut im Komfort-Bereich.

Auf einen kurzen Nenner gebracht: Ein Kindle Fire der ersten Generation mit Ice Cream Sandwich- oder gar Jelly Bean-ROM hat absolut keine Ähnlichkeit mehr mit dem trägen Handheld, den man aus dem Amazon-Karton genommen hat: Das Gerät ist wie ausgewechselt.


Wo ist dann also das Problem? Ganz einfach: In der Akkulaufzeit.

Damit meine ich nicht die Laufzeit im regulären Betrieb. Sicher, im 20% höher getakteten Betrieb wird das Tablet wärmer und verbrät auch mehr Strom. Das ist nicht unerwartet und aufgrund der ansonsten guten Akkulaufzeit des Kindle Fire durchaus zu verschmerzen.

Das Problem liegt vielmehr in der Standby-Stromaufnahme. Ein Kindle Fire mit Amazon Stock-Firmware (z.B. mit der aktuellen 6.3.1 – auch gerootet) verbrät ausgeschaltet im Standby etwa 3% Akku am Tag. Auch wenn das im Vergleich mit einem schlafenden iPad noch viel ist: Rechnerisch kommt man so auf einen Monat Standby.

Aber – egal welches CM9- oder CM10-ROM ich verwendet habe: Liegt der Fire im Standby, fällt der Akkustand pro Stunde um 1%. Rechnerisch ergibt dies eine Standby-Zeit von weniger als 4 Tagen.

Und ehe jetzt viele schlaue Tipps kommen:

  • Ja, Cache und Dalvik Cache waren bei der Frisch-Installation ordnungsgemäß geleert.
  • Ja, WLAN kann getrost komplett deaktiviert sein – auch der Flugzeugmodus bringt nichts.
  • Ja, ich kann mit Hilfe von CPU Spy nachvollziehen, dass sich der Fire tatsächlich in den Deep Sleep legt.
  • Ja, auch direkt nach der Einrichtung, ohne irgendwelche im Hintergrund laufenden Apps.
  • Ja, alle anderen irgendwie praktikablen Enegierspartipps (z.B. von hier) habe ebenfalls durchprobiert.

In kurz: Während der Kindle Fire mit (gerooteter) Stock-Firmware als Zweit- oder Dritt-Tablet gerne mal tage- oder gar wochenlang ungenutzt im Wohn- oder Kaminzimmer vor sich hin idlen kann (Stichwort: „Second Screen“), ist mit CM9-ICS- oder CM10-JB-ROM nach einem langen Wochenende Schluss mit lustig.

Mein aktuelles Fazit ist also: Für ein „Erst-Tablet“, das man sowieso jeden Tag benutzt, sind CM9- oder CM10-Alternativ-ROMs eine absolut feine Sache. Für meinen Anwendungszweck, bei dem das iPad das Erst-Tablet, das Nexus 7 das Zweit-Tablet und der Kindle Fire nur noch das Dritt-Tablet darstellt, ist eine derart kurze Standby-Zeit leider ein absolutes No-Go.

Also: „Back to mama“ – zurück zur Amazon-Stock Firmware. … Oder vielleicht probiere ich doch noch einmal die diversen CM7-GB-ROMs. Aber die wollten bislang nicht so richtig mit meiner WLAN-Station auf Kanal 13. Nun, irgendwas ist ja wohl scheinbar immer …

 

UPDATE: Nachdem es den Weg ins WiFi gefunden hat, läuft „CM7stockish“ ziemlich gut – und saugt auch den Akku nicht leer.

4 Kommentare.

  1. Und was spräche dagegen das Gerät für längere Pausen ganz aus zu schalten? außer dem üblichen comfort

    • Nichts spricht dagegen – faktisch booten die meisten ROMs sogar vergleichsweise schnell. Aber für mich ist ein „Donnerstag abends hingelegt – keine Ahnung, ob ich das Gerät am Wochenende noch mal in die Hand nehme – Montag früh leer“ noch keine „längere Pause“. Das permanente Ab- und wieder Anschalten widerspricht der „always on“-Mentalität: Wenn ich flugs die richtige Antwort bei „Wer wird Millionär?“ in der Wikipedia nachschlagen will, ist es supernervig, 1-2 Minuten zu warten, bis das Tablet hochgefahren ist.

  2. Ich kann das beschriebene Problem absolut nachvollziehen, geht mir genauso. Nach längerem Rumprobieren bin ich jetzt doch wieder beim original ROM mit Sideloaded Apps gelandet, da dieses ständige Akkuziehen einfach extrem mühsam ist.
    Einene App-Trick habe ich noch: wenn man auf einem anderen Android (habe ein Galaxy S2) im Amazon App Store Apps lädt (mit deutscher Kreditkarte), dann tauchen diese auch im App Store auf dem Fire als purchased auf und lassen sich ganz offiziell laden. Auch die Logos im Carousel sind dann gut aufgelöst.

    • Wie gesagt – siehe mein Update: Dieses CM7-ROM (update-cm-7-20121104-UNOFFICIAL-otter-signed.zip) scheint das Problem nicht zu haben. Auch wenn die Bedienung mit der unteren Button- und Benachrichtigungsleiste ein bisschen customized (aber auch customizable) ist – damit hat man ein „echtes“ Gingerbread ohne allzu viele Amazon-Gängelungen.